Bettina Steinbrügge
Jurorin
Bettina Steinbrügge ist seit 2022 Direktorin des Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean MUDAM in Luxemburg. Nach Stationen als Seniorkuratorin und Sammlungsleiterin am Belvedere in Wien, als Kuratorin an der La Kunsthalle Mulhouse und der „Halle für Kunst“ Lüneburg leitete sie von 2014-2022 den „Kunstverein in Hamburg“. Steinbrügge unterrichtete an der Universität Lüneburg und der Haute école d’art et de design HEAD in Genf und war Professorin für Kunsttheorie an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Von 2007 bis 2017 war sie Mitglied des Programmteams des Forum Expanded der Internationalen Filmfestspiele Berlin.
Bettina Steinbrügge ist seit 2017 Mitglied des Vorstands der Hans Platschek Stiftung.
Kurzbegründung von Bettina Steinbrügge zur Wahl Ingeborg Lüscher
„Im Mai 1971 steht eine Frau in einem silbernen Schutzanzug vor der Mercatorhalle in Duisburg. Zu den Klängen von Karlheinz Stockhausen zündet sie eine selbst gefertigte Skulptur an. Nachdem die Skulptur zerstört ist, löscht sie das Feuer mit einem Feuerlöscher. Die Frau heißt Ingeborg Lüscher.
Lüscher verfügt über eine ausgeprägte Neugierde, Offenheit und die größtmögliche Vielfalt an Erfahrungsebenen. Sie stellt sich nicht in den Mittelpunkt, sondern interessiert sich für die kreativen Fähigkeiten ihrer Umgebung. Ihr Ziel ist es, sich und die Welt immer wieder neu zu erfinden. Zauberfotografien, Schwefelskulpturen, die Auseinandersetzung mit Literatur und Malerei, die Gestaltung eines Bernsteinzimmers – all dies sind Beispiele für Arbeiten, in denen Ingeborg Lüscher ihre Fähigkeit unter Beweis stellt, Menschen und Dinge zum Leuchten zu bringen. Ihr Leben ist geprägt von einer außerordentlichen Energie und Freiheit, die sich in all ihren Werken eindrucksvoll manifestiert und sie in eine enge Verbindung zu Hans Platschek bringt, dem unbestechlichen Kritiker seiner Zeit, der wie Lüscher vieles ausprobierte und in Frage stellte.“
Ingeborg Lüscher
Preisträgerin
Ingeborg Lüscher ist Malerin, Fotografin und Videokünstlerin. Nach dem Schauspiel- und Psychologiestudium in Berlin war sie Ensemblemitglied des dortigen Renaissance Theaters. Ende der 1960er Jahre wandte sie sich von den darstellenden den bildenden Künsten zu. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Galerie- und Museumsausstellungen gezeigt, unter anderem in Paris, Den Haag, in Moskau und in Malaga. Zweimal stellte sie auf der documenta in Kassel aus, 1972 eine fotografische Dokumentation des „enzyklopädischen Waldes“ von Arman Schulthess und 1992 ihre Schwefelskulpturen, Objekte, die durch die Umkleidung mit Schwefel zu Lichtkörpern werden, die eine „helle Stille“ vermitteln (Roman Kurzmeyer).
Im Jahr 2011 erhielt Lüscher die höchste künstlerische Auszeichnung der Schweiz, den Prix Meret Oppenheim.
„Alle meine Werke gehen ganz direkt von einer Erfahrung
oder Sache aus“
„Die andere Seite“. Videostills, 2009/2010
Denke, wer du bist, deinen Namen, deine Herkunft.
Denke, was die andere Seite dir angetan hat.
Denke, kannst du das vergeben?
Die Videostills zeigen die Gesichter von Menschen, die sich diesen elementaren Fragen stellen. Gerichtet sind sie an Israelis und Palästinenser.
Anlass für diese beunruhigende Arbeit war eine Fernsehsendung, in der eine alte Kambodschanerin auf die Frage, wie sie nach der Ermordung ihres Mannes und ihres Sohnes durch die Roten Khmer überhaupt habe weiterleben können, antwortete „man muss vergeben, sonst kann man nicht weiterleben.“ Diese Antwort habe sie tief ergriffen, sagt Lüscher, und habe sie an Israel und Palästina denken lassen, eine Problematik, mit der sie sich seit langem beschäftige.
„Es war mir sehr wichtig, dass das Video ohne Ton ist. Es ging um das Erleben jedes Einzelnen, unabhängig von historischen oder politischen Bedingungen.“
Ingeborg Lüscher
„Tegna Projekt“, 1972
Eine Reihe von schwarz-weiß Fotos: Landschaften, Gebäude, Menschen, ohne Kunstanspruch. Verbunden ist jedes Foto mit einem literarischen Textfragment, das in keinem Sinnzusammenhang steht – jede Zusammentstellung ist Ergebnis eines Spiels. Bild und Sprache bleiben ein nichtauflösbares Rätsel mit magischer Aura.
Die Arbeiten von Hans Platschek stammen aus der späteren Phase, der des „satirischen Realismus“:
das „Wunschkind“, „Die Versuchung des Heiligen Antonios“ und „Frau mit Krücke“. „Johanna lesend“
ist ein Solitär.
Die Versuchung des heiligen Antonius
Acryl/Lw, 130,7 x 105 cm, 1970, unsigniert
Frau mit Krückstock
Acryl/Lw. 131 x 131 cm, 1970, unsigniert
Zum „Wunschkind“ sagt Ingeborg Lüscher: „Da sitzt aufrecht im Kinderwagen eben jenes Wunschkind. Es hat das Gesicht eines Erwachsenen, den das Leben hart angefasst hat und das nicht oft ‚man muss vergeben, sonst kann man ja nicht weiterleben‘ gesagt haben wird. Ich denke sofort an mein eigenes Wunschkind, dessen Liebreiz bezaubert.“
Wunschkind
Acryl/Lw. 129 x 129 cm, 1970, unsigniert
Johanna lesend
Acryl/Lw. 30 x 40 cm, 1979, signiert
Bezaubernd für den Betrachter ist auch Platscheks „Johanna lesend“: das Portrait einer anmutigen, schönen und klugen Frau, die liest – selbstversunken.