Selima Niggl
1Dass in diesem Bild des Intellektuellen-Künstlers auch ein gutes Stück Inszenierung mitschwang, ahnte ich. Nichts aber wusste ich von Platscheks Vertreibung aus Nazi-Deutschland, nichts von seinen Texten, nichts von seiner Malerei. Ich habe mir das Buch in seinen Händen nicht genauer angesehen, sonst hätte ich mich fragen können, warum Platschek gerade George Orwells Erstling Down and Out in Paris and London (in französischer Übersetzung) in den Händen hält, eine autobiographisch geprägte Sozialstudie über das von Armut geprägte Leben eines Vagabunden.
Das zweite Mal traf ich auf Hans Platschek, als ich das schriftliche Archiv der Galerie van de Loo sichtete mit über 200 zum Teil sehr erhellenden, aber immer wieder auch unglaublich komischen Briefen. Sie gingen zwischen dem Maler und seinem Galeristen Otto van de Loo hin und her, als Platschek von München weg, erst nach Rom und London, dann dauerhaft nach Hamburg zog. Parallel arbeitete ich über die Gruppe SPUR und erfuhr, welch große Bedeutung der ca. 10 Jahre ältere, bestens in der internationalen Szene vernetzte, erfolgreiche Maler und dessen 1959 veröffentlichtes Buch Neue Figurationen.
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Aus der Werkstatt der heutigen Malerei für die junge Münchner Künstlergruppe hatte. Über Platschek wurden sie, die vorher noch zum „heiligen Wassily“ ins Lenbachhaus gepilgert waren, mit der Kunst u.a. von Wols, Fautrier, Pollock, Dubuffet, Vedova oder Saura konfrontiert.
Der große Stilunterschied zwischen dem eher sachlichen Charakter des Buchs (wobei man die Schärfe seiner Pfeile gegen die Terpentinschwemmen der Tachisten nicht unterschätzen darf) und dem scharfen und gleichzeitig urkomischen Tonfall der Briefe löste sich für mich erst später auf, als ich Platscheks ab Mitte der 1960er Jahre entstandenen Polemiken kennenlernte. Verbunden mit seiner Malerei, innerhalb der er von einer informell anmutenden, figurative Überraschungen bereithaltenden Abstraktion zu satirisch-realistischen Angriffen auf den so genannten „guten Geschmack“ hin zu malerisch sensiblen, inhaltlich aber weiter kritisch-grotesk angelegten Arbeiten findet, eröffnete sich mir das Bild eines Maler-Autors, der bereit war, für seine, manchmal bis zur Sturheit reichende, klare Haltung seine Karriere zu riskieren.
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Das Ausstellungsprojekt und insbesondere das Katalogbuch zum 100. Geburtstag macht fassbar, was dem engen Umfeld Platscheks wohl immer schon bewusst war: Platscheks Erfahrungen als 1923 in Deutschland geborener Jude prägten sein ganzes Leben. Dies zeigt sich in seinen 1939/40 entstandenen, nun erstmals ausführlicher behandelten antifaschistischen Karikaturen, in seinem informellen Werk, das bisher kaum beachtete Bezüge zum Holocaust, zu Krieg und zu Flucht aufweist, in seinen Polemiken gegen Nay, Haftmann, Node u.a., aber auch in seiner, ihn mit Gisela Elsner verbindenden Sympathie für kommunistische Ideen und in dem Aufbau eines künstlerischen Kosmos, bei dem Platschek die politische Haltung seines Gegenübers stets wichtiger war als künstlerisch-stilistische Grundsätze.
Mir wurde allerdings auch klar, dass 280 Seiten immer noch nicht ausreichen, Hans Platschek zu fassen. Der Stoff für weitere Auseinandersetzungen – das zeigt alleine die immer noch nicht vollständige, lange Liste von Platscheks eigenen Artikeln – wird also nicht so schnell ausgehen.